"Endlich mal eine Drei!" - Als Lehrling bei Bauers Witwe
Foto: © Unbekannt - Liselotte wollte überhaupt nicht Kaufmann (-frau) werden, als sie zu Ostern 1941, vierzehnjährig, die Schule verließ. Nach einem sog. Pflichtjahr begann sie als Fünfzehnjährige die Ausbildung auf der Grundlage eines ordentlichen "Lehrvertrags für kaufmännische Lehrlinge" am 1.4.1942. Mit Liselotte Manig traten zwei weitere Lehrlinge ein: Dieter Lehmann und Vera Krüger. Neben fünf älteren Mitarbeitern, von denen eine (Frau Henkemeier) in der Staatlichen Lotterieeinnahme meines Großvaters arbeitete, war Hedwig Lehmann, mit Dieter nicht verwandt, bereits seit einem Jahr in der Ausbildung.
Und so begann der neue Lebensabschnitt ohne jede Begeisterung. Da es aber zu jener Zeit nicht üblich war, sein Schicksal zu beklagen oder gar zu bejammern, fügte sich Liselotte in ihr Los, war sie doch ohnehin ein fröhliches, lang aufgeschossenes Mädchen mit strahlenden Augen und hübschen Gesichtszügen. Andeutungen von Grübchen gaben ihnen zusätzlichen Reiz, zumal sie sich bei jedem Lächeln deutlicher abzeichneten, und Liselotte lächelte gern und häufig. Sie lebte nach der Devise, alles so zu nehmen, wie es kam. Im Geschäft erwies sie sich als anstellig, flink und geschickt. Sie erledigte alle anfallenden Arbeiten zur Zufriedenheit des Geschäftsinhabers Kurt Bauer und seiner Frau Marie geb. Fürl. Bald war sie bei den Kunden sehr beliebt. Da die Firma über ein breites Warenangebot verfügte und den Handel schon seit Jahrzehnten sowohl en gros als auch en detail betrieb, gab es reichlich zu tun.
Es bestand großer Arbeitskräftemangel, und so hatten die fünf Verkäuferinnen, vier Lehrlinge, der Kutscher und der Chef, mein Großvater, reichlich, ja übermäßig viel Arbeit. Die Ausbildung erfolgte fast ausschließlich über die normale Alltagsarbeit, die Liselotte zunächst fremd war, was aber offenkundig niemand merkte, und wenn es jemand merkte, wäre dies auf kein Interesse gestoßen. Die nötige Einführung in Büroarbeiten, insbesondere Buchführung, blieb allein der Berufsschule vorbehalten, die mittwochs auf fünf Unterrichtsstunden beschränkt war. Liselotte musste dann wie die anderen Lehrlinge gleich nach der Schule ins Geschäft kommen, wo sie jeweils um 12.50 Uhr eintraf. Zehn Minuten später begann dann die zweistündige Mittagszeit. Um aber ja die zehn Minuten vorher einzutreffen, beschleunigten die Lehrlinge sogar ihre Schritte: "So war das damals!" Die Arbeitszeit dauerte von 8.00 Uhr bis 19.00 Uhr und sonnabends von 8.00 bis 17.00 Uhr, aber ohne Mittagszeit.
Ein Lehrling hatte 50 bis 60 Stunden in der Woche einschließlich des Berufsschulvormittags zu arbeiten, vor Weihnachten auch sonntags. Die Lehrlinge erhielten dafür im ersten Lehrjahr monatlich 25, im zweiten 30 und im dritten 40 Reichsmark. Es bestand ein Anspruch auf 14 Tage Urlaub. Für das Geld konnte man sich im Verlauf des Krieges, von dessen schlimmsten Auswirkungen Finsterwalde bis zum Kriegsende fast gänzlich verschont blieb, immer weniger kaufen, denn in den Geschäften ging das Angebot ständig zurück. Bei Bauers konnte man trotz allem den Eindruck gewinnen, als bestünde überhaupt gar kein Mangel. Oft türmten sich größere Warenberge auf dem Ladentisch. Allerdings mussten die Kunden meist geraume Zeit warten, bis sie an der Reihe waren. Der Einkauf war durch das Abtrennen der Lebensmittelmarken, die schließlich in gesonderte Zigarrenkisten getan wurden, umständlicher und zeitraubender.
"Wir mussten eigentlich immer arbeiten. Richtige Ausbildung ergab sich nur durch die praktische Arbeit." Als erfreulicher Nebeneffekt konnte die Tatsache gelten, dass Bauern, die ja auch Lebensmittelkarten erhielten, manches - wie etwa Quark oder auch Butter - nicht benötigten und gelegentlich den Verkäuferinnen einige Marken schenkten. So ergab sich auch für Liselotte ein ungeahnter Vorteil aus ihrem Beruf, den sie ja zunächst gar nicht wahrnehmen wollte.
Ordnungsgemäß, als gäbe es keinerlei Zweifel, dass er auch stattfinden konnte, war für Liselotte und Vera als Termin der 15. März 1945 festgelegt worden. Dieter konnte daran nicht teilnehmen, weil! er Ende 1944 zum Arbeitsdienst eingezogen worden war und nicht mehr - wie Liselotte - freigestellt werden konnte. Die Prüfung fand im Geschäft von Kurt Carius in der Berliner Straße statt. Nach insgesamt zwei Stunden war die Prüfung vorbei, und die Ergebnisse wurden gleich im Anschluss mitgeteilt. Liselotte hatte wegen des Ausfalls in Politik nur mit einer "3" abgeschlossen. Dennoch war ihre Freude groß. Fast noch mehr freute sich mein Großvater: "Endlich mal eine Abschlussprüfung mit einer Drei!" Bis dahin war nämlich keine Prüfung besser als "Ausreichend" ausgefallen! Wie an den Berufsschultagen schaffte sie es noch, zehn Minuten vor 13.00 Uhr wieder im Geschäft zu sein, diesmal, um die Glückwünsche entgegenzunehmen und zugleich bei der Bedienung der letzten Kunden vor der Mittagspause mitzuhelfen.
Bei diesem Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Beitrages "Als Lehrling bei Ad. Bauer's Wwe. - Aus den Berichten von Liselotte Schulz, geb. Manig", der in DER SPEICHER 3, 1999, S. 49ff erschienen ist. mehr »
Und so begann der neue Lebensabschnitt ohne jede Begeisterung. Da es aber zu jener Zeit nicht üblich war, sein Schicksal zu beklagen oder gar zu bejammern, fügte sich Liselotte in ihr Los, war sie doch ohnehin ein fröhliches, lang aufgeschossenes Mädchen mit strahlenden Augen und hübschen Gesichtszügen. Andeutungen von Grübchen gaben ihnen zusätzlichen Reiz, zumal sie sich bei jedem Lächeln deutlicher abzeichneten, und Liselotte lächelte gern und häufig. Sie lebte nach der Devise, alles so zu nehmen, wie es kam. Im Geschäft erwies sie sich als anstellig, flink und geschickt. Sie erledigte alle anfallenden Arbeiten zur Zufriedenheit des Geschäftsinhabers Kurt Bauer und seiner Frau Marie geb. Fürl. Bald war sie bei den Kunden sehr beliebt. Da die Firma über ein breites Warenangebot verfügte und den Handel schon seit Jahrzehnten sowohl en gros als auch en detail betrieb, gab es reichlich zu tun.
Es bestand großer Arbeitskräftemangel, und so hatten die fünf Verkäuferinnen, vier Lehrlinge, der Kutscher und der Chef, mein Großvater, reichlich, ja übermäßig viel Arbeit. Die Ausbildung erfolgte fast ausschließlich über die normale Alltagsarbeit, die Liselotte zunächst fremd war, was aber offenkundig niemand merkte, und wenn es jemand merkte, wäre dies auf kein Interesse gestoßen. Die nötige Einführung in Büroarbeiten, insbesondere Buchführung, blieb allein der Berufsschule vorbehalten, die mittwochs auf fünf Unterrichtsstunden beschränkt war. Liselotte musste dann wie die anderen Lehrlinge gleich nach der Schule ins Geschäft kommen, wo sie jeweils um 12.50 Uhr eintraf. Zehn Minuten später begann dann die zweistündige Mittagszeit. Um aber ja die zehn Minuten vorher einzutreffen, beschleunigten die Lehrlinge sogar ihre Schritte: "So war das damals!" Die Arbeitszeit dauerte von 8.00 Uhr bis 19.00 Uhr und sonnabends von 8.00 bis 17.00 Uhr, aber ohne Mittagszeit.
Ein Lehrling hatte 50 bis 60 Stunden in der Woche einschließlich des Berufsschulvormittags zu arbeiten, vor Weihnachten auch sonntags. Die Lehrlinge erhielten dafür im ersten Lehrjahr monatlich 25, im zweiten 30 und im dritten 40 Reichsmark. Es bestand ein Anspruch auf 14 Tage Urlaub. Für das Geld konnte man sich im Verlauf des Krieges, von dessen schlimmsten Auswirkungen Finsterwalde bis zum Kriegsende fast gänzlich verschont blieb, immer weniger kaufen, denn in den Geschäften ging das Angebot ständig zurück. Bei Bauers konnte man trotz allem den Eindruck gewinnen, als bestünde überhaupt gar kein Mangel. Oft türmten sich größere Warenberge auf dem Ladentisch. Allerdings mussten die Kunden meist geraume Zeit warten, bis sie an der Reihe waren. Der Einkauf war durch das Abtrennen der Lebensmittelmarken, die schließlich in gesonderte Zigarrenkisten getan wurden, umständlicher und zeitraubender.
"Wir mussten eigentlich immer arbeiten. Richtige Ausbildung ergab sich nur durch die praktische Arbeit." Als erfreulicher Nebeneffekt konnte die Tatsache gelten, dass Bauern, die ja auch Lebensmittelkarten erhielten, manches - wie etwa Quark oder auch Butter - nicht benötigten und gelegentlich den Verkäuferinnen einige Marken schenkten. So ergab sich auch für Liselotte ein ungeahnter Vorteil aus ihrem Beruf, den sie ja zunächst gar nicht wahrnehmen wollte.
Ordnungsgemäß, als gäbe es keinerlei Zweifel, dass er auch stattfinden konnte, war für Liselotte und Vera als Termin der 15. März 1945 festgelegt worden. Dieter konnte daran nicht teilnehmen, weil! er Ende 1944 zum Arbeitsdienst eingezogen worden war und nicht mehr - wie Liselotte - freigestellt werden konnte. Die Prüfung fand im Geschäft von Kurt Carius in der Berliner Straße statt. Nach insgesamt zwei Stunden war die Prüfung vorbei, und die Ergebnisse wurden gleich im Anschluss mitgeteilt. Liselotte hatte wegen des Ausfalls in Politik nur mit einer "3" abgeschlossen. Dennoch war ihre Freude groß. Fast noch mehr freute sich mein Großvater: "Endlich mal eine Abschlussprüfung mit einer Drei!" Bis dahin war nämlich keine Prüfung besser als "Ausreichend" ausgefallen! Wie an den Berufsschultagen schaffte sie es noch, zehn Minuten vor 13.00 Uhr wieder im Geschäft zu sein, diesmal, um die Glückwünsche entgegenzunehmen und zugleich bei der Bedienung der letzten Kunden vor der Mittagspause mitzuhelfen.
Bei diesem Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Beitrages "Als Lehrling bei Ad. Bauer's Wwe. - Aus den Berichten von Liselotte Schulz, geb. Manig", der in DER SPEICHER 3, 1999, S. 49ff erschienen ist. mehr »